Vom Reststoff zum Baustoff zum Nährstoff – Wie Pilze die Materialwelt verändern

Sie sind die Pilzköpfe am Campus Kuchl: Maren und Raphael beschäftigen sich seit Mitte ihres Bachelorstudiums mit der Herstellung von myzelbasierten Werkstoffen. Nun stehen die beiden HTB-Studierenden kurz vor dem Masterabschluss und zeigen mit ihren Entwicklungen, dass die Kombination aus Neugierde, Experimentierfreude und Durchhaltevermögen eine Erfolgsformel ist – und dass die Zukunft in Pilzen liegt.

„Kuchl ist weit mehr als Holz, auch wenn es manchmal von außen so wahrgenommen wird. Wir hatten hier die Freiheit, in einen anderen Bereich der biogenen Werkstoffe und Technologien einzutauchen, der ebenso wie Holz eine große Rolle in der Zukunft spielen wird, wenn es um Materialien geht“, so Raphael. Angefangen hat alles mit dem Projekt im dritten Semester. Eine Gruppe Studierender, die damals kurz vor dem Abschluss standen, hat sich im Projekt Bioraffinerie mit der Gewinnung von Polymeren und Kraftstoffen aus Algen beschäftigt. Ein Teilgebiet davon waren Pilze, die als Destruenten in der Natur organische Stoffe wieder in ihre Grundbestandteile zersetzen können und diese anderen Lebewesen zur Verfügung stellen.

Trial, Error and Repeat – Der Teufel steckt im Detail

Allerdings ist die Kultivierung von Pilzen kein einfaches Unterfangen. Einerseits, weil dazu kontrollierte und stabile Wachstumsbedingungen herrschen müssen, allen voran eine kontrollierte Luftfeuchte, CO2-Gehalt und Temperatur, andererseits, weil Sporen aus der Luft zum Wachstum von anderen ungewollten Pilzen führen. Bei der Herstellung der pilzbasierten Werkstoffe geht es weniger um den Fruchtkörper des Pilzes, also den essbaren Teil mit Hut und Stiel, den wir von Speisepilzen kennen, sondern um das Myzel, also die Gesamtheit der Gewebefäden, die den eigentlichen Pilz bilden. Dieses wächst auf einem nährstoffreichen organischen Substrat, beispielsweise Sägespäne oder gehäckseltes Stroh, und verfestigt es. Ist die gewünschte Struktur und Festigkeit erreicht, wird der Pilz durch Hitze abgetötet oder ihm die Feuchtigkeit für weiteres Wachstum entzogen. Es entsteht ein natürliches und komplett biologisch abbaubares Material. Die Arten, auf die Maren und Raphael sich spezialisiert haben, sind Zitronen- und Austernseitlinge, sowie Shiitakepilze. Allesamt Sorten, deren Fruchtkörper sich auch wunderbar als Speisepilze verarbeiten lassen.

Der Weg hin zu den ersten brauchbaren Prototypen war lang und voller Rückschläge. Fast zwei Jahre lang haben die beiden mit Schimmel, Obstfliegen und ungewollten Gärungsprozessen gekämpft, bis der Zuchtprozess unter Kontrolle war. Dazu wurden nicht nur zwei Kühlschränke zu Brutschränken umgebaut, sondern Raphael musste sich mit dem Programmieren von Raspberry Pi auseinandersetzen, einem einfachen Einplatinencomputer im Kreditkartenformat, der die Wachstumsatmosphäre der Pilze automatisch steuerte. „Es war lange Zeit wirklich frustrierend. Trotz harter Arbeit konnten wir lange nichts Brauchbares vorweisen. Aber als wir den Prozess im Griff hatten, wurde das anders. Es hat uns gezeigt, dass in der Forschung eben nicht alles beim ersten Mal funktioniert, sondern dass es Durchhaltevermögen braucht. Was uns motivierte, waren die Möglichkeiten, die in Pilzen vorhanden sind und der Gedanke, ein ganz neues Themenfeld voranzubringen, was perfekt an den Campus passt.“

Circular Economy mit Reststoffen aus der Umgebung

Das Besondere an ihrem Projekt ist der Kreislaufaspekt, der ihrer Wertschöpfungskette zugrunde liegt. Statt frischem Wuchssubstrat bedienen sie sich bereits verwendetem Substrat aus der Speisepilzzucht. Diese Reststoffe stammen von einem ihrer Vorgänger des Studiengangs, Sebastian Reindl, der eine Speisepilzzucht im Salzburger Flachgau betreibt. Statt auf dem Kompost entsorgt zu werden, dienen seine Altsubstrate am Campus Kuchl der biogenen Materialentwicklung und können am Ende des Lebenszyklus problemlos kompostiert und damit zu neuem Nährstoff im biologischen Kreislauf werden.

In einer kreislaufbasierten Bioökonomie werden Pilze eine große Rolle spielen, sind sich die beiden sicher. „Pilze können Reststoffe verwerten, beispielsweise zu pharmazeutischen Substanzen, zu Biokraftstoffen oder, wie in unserem Fall zu Funktions- und Strukturmaterialien, die im Bauwesen oder auch im Produktdesign zum Einsatz kommen. Es gibt Pilze, die sich perfekt als proteinhaltiger Fleischersatz eignen. Außerdem können sie Abfälle verwerten, für die wir außer der Deponierung bisher keine sinnvollen Lösungen haben – Stichwort Plastikmüll. Und im Allgemeinen kennen wir nur Champignons und wissen so gut wie gar nichts über Pilze. Dabei wäre unser Leben ohne sie kaum vorstellbar“, so Maren, die ebenso wie Raphael für das Thema brennt. Nachdem nun die Masterarbeiten geschrieben sind („Verbesserung der Nutzung von Reststoffen einer Pilzzucht, durch Herstellen von Plattenwerkstoffen aus Pilzmyzel & Strohpellets“ und „Dreidimensionale Formen aus Pilzmyzel“), werden sie sich auch weiterhin ganz dem Thema widmen. Als Junior Researcher am Department Green Engineering & Circular Design forschen sie weiter und entwickeln Anwendungen für pilzbasierte Werkstoffe. Gleichzeitig wollen sie ihr Spezialwissen an Studierende weitergeben, die sich ebenfalls für das Thema begeistern. „Die Entwicklungen mit Pilzmyzel stehen weltweit noch in den Kinderschuhen, und besonders die Nutzung von Reststoffen, wie wir es tun, ist kaum erforscht. Für alle, die neugierig sind, Wissen schaffen und nachhaltige Entwicklung voranbringen wollen, ist das ein Paradies.“