Aktuelles
20. September 2021

Soziale Kohäsion gegen Radikalisierung

Der Bürgermeister von Toulouse selbst eröffnete im Juli eine Konferenz im Rahmen des EU-weiten Projektes Rad2Citizen. Weitere Vertreter*innen der EU Kommission zeigten, welchen wichtigen gesellschaftlichen Stellenwert die Arbeit der Forscher*innen einnimmt. Dabei spielt auch die Expertise eines Forschungsteams der Studiengangsforschung Soziale Arbeit / Soziale Innovation der FH Salzburg rund um Heiko Berner eine zentrale Rolle. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der soziale Zusammenhalt.

In seinem Statement zur Eröffnung betonte der Bürgermeister der Metropolregion Toulouse, Jean-Luc Moudence, die gemeinsame europäische Notwendigkeit, gewalttätigem Radikalismus entschlossen entgegenzutreten:

European cities are confronted with the rise of violent radicalisms that challenge the values of convergence and living together that are common to all European countries. In recent years, Toulouse and various French and European cities have suffered tragic events. Faced with these phenomena, several partners have joined forces in a common approach in order to work across the board and prevent the different types of violent radicalism.”

Salzburger Forscher entwickeln „Observatory Tool“

Heiko Berner, Researcher am Studiengang Soziale Innovation, freute sich besonders darüber, dass es im Rahmen des Projektes zu einem persönlichen Treffen und Austausch kommen konnte. Neben der fachlichen Expertise ist die Rolle der Salzburger Forscher vor allem, den Blick von außen einzunehmen. Berner präsentierte die Ergebnisse des Arbeitspaketes, an dem er mit Nedžad Moćević und Markus Pausch arbeitet. Ihr Ziel ist die Entwicklung eines „Observatory Tool“, mit dem die soziale Kohäsion in Distrikten sichtbar gemacht werden kann.

„Der im Rahmen des Projekts gewählte Ansatz für die Analyse der Gebiete ist eng mit der Definition des sozialen Zusammenhalts verbunden. Wir betrachten den sozialen Zusammenhalt als ein Konzept, das es uns ermöglicht, die Lebensbedingungen in den untersuchten Gebieten zu bewerten. Anhand dieser Analyse lassen sich dann die Stärken und Schwächen der verschiedenen Gebiete in Bezug auf den sozialen Zusammenhalt ermitteln“, erklärt der Forscher.

Für die Analyse wurden eine Reihe von Faktoren ausgewählt, zum Beispiel statistische Daten über die Wahrnehmungen und Einstellungen der verschiedenen Interessengruppen in den Gebieten, sowie qualitative Daten durch Gruppentreffen.

Einkommen als Schlüssel zur sozialen Kohäsion?

Die Frage nach dem Einkommen spielt immer wieder eine zentrale Rolle im Rahmen der Radikalisierungs-Diskussion. Die Antwort der Salzburger Forscher fällt überraschend aus: „Die Kriminalitätsraten in den verschiedenen untersuchten Bezirken schwanken erheblich und das unabhängig von den mittleren Einkommen. Das Beispiel zeigt, dass nicht vorschnell aus einzelnen Faktoren Rückschlüsse auf den sozialen Zusammenhalt gezogen werden sollten.“ Für ihre Forschung wurden unter anderem zwei Gemeinden in der Nähe von Toulouse verglichen, die eine ähnlich hohe Kriminalitätsrate, aber unterschiedlich hohe Einkommenswerte haben.

Fazit: Der Nährboden für Radikalisierung kann und darf nicht vereinfacht dargestellt werden. Daher braucht es einen Ansatz, der viele Faktoren berücksichtigt. Diesen Ansatz wird das Forschungsteam weiter entwickeln. „Nur durch die Entwicklung eines multifaktoriellen Ansatzes und die Berücksichtigung subjektiver und qualitativer Daten wird es möglich sein, die Logik des Territoriums und die Verbindungen zwischen den Indikatoren und dem sozialen Zusammenhalt besser zu verstehen“, erklärt Berner das Vorhaben.

Forschung trifft Praxis

Im Rahmen von Round Tables wurden auch Praktiker*innen gehört, die ihre professionelle Erfahrung im Bereich der Präventionspraktiken in Situationen von gewalttätigem Radikalismus einbrachten. Aus Österreich nahm Džemal Šibljaković, Leiter einer muslimischen Seelsorgeeinheit in einem Gefängnis in Österreich und Mitarbeiter von "TURN - Institution gegen Gewalt und Extremismus", daran teil. „Der Ansatz von TURN ist in Bezug auf junge Menschen, die aus dem Gefängnis kommen oder einer extremen Ideologie (z. B. Daesh) anhängen, mit einem integrativen und partizipatorischen Ansatz, ihre Meinung zu ändern. Das kann z. B. dadurch passieren, dass sie ihre Geschichte durch Interviews erzählen. Wichtig ist, dass diejenigen, die sich von der Ideologie gelöst haben, ihre Geschichte mit denjenigen teilen, bei denen dies nicht der Fall ist, insbesondere durch Videos auf Instagram, die dieselbe visuelle Identität wie die betreffende Ideologie haben“.

Auch der Verein IGGO spielt eine zentrale Rolle in der Präventionsarbeit von Šibljaković: „IGGO - Das sind islamische Religionsbehörden in Österreich, die mit anderen Gemeinschaften (Schulen, Moscheen, Vereinen) zusammenarbeiten, um den Terrorismus in der Praxis zu bekämpfen (z.B. Ausbildung von Lehrern, Imamen, Vernetzung von Institutionen durch Beratung, Information). Information der Menschen, damit sie sich nicht an bösartige Gruppen wenden. Sie führen Kampagnen für Minderheiten, einschließlich Muslime, durch.“

Über das Projekt

Das Projekt RAD2CITIZEN zielt darauf ab, Radikalisierung und verschiedene Formen von Extremismus sowie damit verbundene Gewalt im Gebiet von Toulouse Métropole zu verhindern. Auch der Zugang zu Rechten und Staatsbürgerschaft soll gefördert werden. Es richtet sich vor allem an ein junges Publikum. Unter der Leitung von Toulouse Métropole wurde eine Partnerschaft zwischen der Stadt Malaga (Spanien), dem Verein CIFAL-MALAGA, der FH Salzburg, Studiengang Soziale Innovation (Österreich) und dem KEMEA-Institut (Griechenland) aufgebaut.

Das Projekt, das von der Europäischen Union ko-finanziert wird, berücksichtigt die Koexistenz verschiedener Formen von gewalttätigem Extremismus in den betroffenen Gebieten auf der Ebene von Toulouse Métropole. Die Projektpartner erarbeiten gemeinsam bewertbare Maßnahmen zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und des Zugangs zu den Rechten der Bürger in dem Gebiet. Bei allen Projektpartnern besteht ein gemeinsames Verständnis der Dynamiken von Extremismus.

Das Ziel des Projektes, das noch bis September 2022 läuft, ist vor allem der Austausch von Wissen und Fähigkeiten und die Schaffung einer gemeinsamen Kultur zur Prävention von gewalttätigem Extremismus.